
07. September 2025 • Lesezeit: 8 Min.
Können Textanleitungen als Sprechertexte verwendet werden?
Viele Unternehmen verwenden Textanleitungen direkt als Sprechertexte für Videoanleitungen – ein weitverbreiteter Fehler. Schriftsprache ist für das Auge optimiert, nicht fürs Ohr. Die negativen Folgen: Frustrierte Nutzer, die Videos abbrechen.
Professionelle Sprechertexte sind anders aufgebaut. Sie folgen den Regeln der gesprochenen Sprache und führen zu deutlich besseren Lernergebnissen in Schulung- und Anleitungsvideos.

Florian Kadelbach
yntro
Einleitung
Warst du schonmal von einem Anleitungsvideo genervt, weil der Sprecher wie ein Roboter klang?
Falls ja, dann hast du wahrscheinlich die Auswirkungen eines weit verbreiteten Fehlers erlebt: Das Unternehmen hat seine schriftlichen Anleitungen einfach direkt als Sprechertext verwendet und damit die Voiceover für das Video produziert.
Was geschrieben gut ist, wird gesprochen zur Qual. Stichpunkte wie "Schrauben (5) herausschrauben und mit Scheiben (4) abnehmen" funktionieren in der schriftlichen Anleitung – vorgelesen klingen sie mechanisch, unnatürlich und schwer verständlich.
Dieser Fehler hat Folgen. Videos werden abgebrochen, Support-Anfragen sinken nicht, und die Videoproduktion bringt nicht das gewünschte Ergebnis. Das muss nicht sein.
In diesem Artikel zeigen wir, warum schriftliche Anleitungen als Sprechertexte nicht funktionieren, welche Probleme entstehen und wie du es besser machen kannst. Du erfährst, warum Schreiben und Sprechen völlig unterschiedlich funktionieren.
Fachbegriffe
Mach jetzt den 3-Minuten-Test, der alles verändert
Bevor wir in die Theorie einsteigen, starten wir mit einer praktischen Übung. Du brauchst dafür nur drei Minuten und dein Smartphone.

Schritt 1: Material vorbereiten
Nimm eine beliebige Seite aus deiner technischen Dokumentation. Egal ob Montageanleitung, Bedienungsanleitung oder Prozessbeschreibung. Hauptsache, es steht eine Handlungsanweisung darauf.
Schritt 2: Aufnahme starten
Lies diese Seite laut vor und nimm dich dabei mit deinem Smartphone auf. Versuch dabei, so zu lesen, als würdest du dein parallel ablaufende Videoanleitung kommentieren. Keine Sorge wegen der Qualität, denn es geht nur um den Inhalt.
Schritt 3: Realitätscheck
Hör dir die Aufnahme an. Vermutlich erlebst du jetzt, was deine Nutzer durchmachen müssten.
Typische Erkenntnisse aus diesem Test:
Sätze klingen abgehackt und unnatürlich
Referenznummern wie "(5)" unterbrechen den Sprachfluss
Technische Beschreibungen wirken steif und roboterhaft
Querverweise zu anderen Seiten passen nicht ins gesprochene Format
Du stolperst über komplizierte Formulierungen und nötigen Wiederholungen
Klingt das nach einem Video, das du gerne anschauen würdest?
Falls du jetzt "Nein" denkst, dann verstehst du das Problem. Deinen Nutzern geht es genauso.
Warum Schriftsprache nicht fürs Ohr gemacht ist
Das Problem liegt tiefer, als viele denken. Schriftsprache und Sprechsprache folgen völlig unterschiedlichen Regeln.
Die Leser-Perspektive: Kontrolle und Struktur
Beim Lesen einer Textanleitung haben Nutzer die volle Kontrolle. Sie können beliebig oft zurückspringen, schwierige Passagen wiederholen oder parallel verschiedene Informationen erfassen. Schriftliche Anleitungen nutzen diese Vorteile maximal aus.
Diese Struktur macht schriftliche Anleitungen effizient und präzise. Information wird kurz und knapp geschrieben, weil der Nutzer bei Bedarf nachlesen kann.
Die Hörer-Perspektive: Linear und zeitgebunden
Beim Hören ist alles anders. Videos haben eine Audiospur – einen virtuellen Coach, der dir persönlich hilft. Hier sind Betonungen, Pausen und natürlicher Sprachfluss entscheidend für das Verständnis. Genauso wichtig ist das Timing zwischen Videobild und Sprache. Die sogenannte Text-Bild-Schere muss stimmen, damit Informationen wirklich klar übermittelt werden. Wenn aber jemand roboterhaft eine Textanleitung vorliest, wirkt das verwirrend: Warum erklärt mir dieser Mensch etwas so komisch? Diese Irritation lenkt ab und hindert dich daran, dich auf das Wesentliche zu konzentrieren.
Diese fundamentalen Unterschiede erklären, warum die direkte Übertragung von schriftlichen Anleitungen in Sprechertexte zwangsläufig scheitert.
Warum Unternehmen trotzdem darauf setzen
Wenn die Probleme so offensichtlich sind, warum verwenden dann einige Unternehmen ihre Anleitungstexte direkt als Sprechertexte? Die Antwort liegt in einem nachvollziehbaren wirtschaftlichen Dilemma.
Unternehmen produzieren Videos für internationale Märkte. Wenn das Unternehmen in zehn Ländern tätig ist, sollte die Videoanleitung für die Zielmärkte angepasst werden. Separate Sprechertexte zu entwickeln bedeutet: doppelter Übersetzungsaufwand. Erst die Anleitungen übersetzen, dann die davon abgeleiteten Sprechertexte.
Die Logik scheint verlockend: "Wir haben die Anleitungen bereits in allen Sprachen. Warum nicht einfach diese vorlesen lassen?"
Was kurzfristig Übersetzungskosten spart, führt langfristig zu den Problemen, die wir gleich betrachten werden..
Wie ein guter Sprechertext klingt – mit Beispiel
Am besten verstehst du den Unterschied an einem konkreten Beispiel. Wir zeigen dir eine typische Passage aus einer technischen Anleitung und ihre Transformation in einen professionellen Sprechertext.
Beispiel 1: Die typische schriftliche Anleitung
"Befestigungsschrauben (5) herausdrehen und mit Scheiben (4) abnehmen. Zylinderkopfhaube mit Dichtung vom Zylinderkopfhaubenunterteil abnehmen. Dichtung prüfen und säubern."
Was hier nicht funktioniert:
Die Referenznummern (5) und (4) sind beim Vorlesen störend
Der Text besteht aus drei standardisierten Satzfragmenten
Es fehlen verbindende Worte und natürliche Übergänge
Beispiel 2: Der optimierte Sprechertext
"Drehen Sie zunächst alle Befestigungsschrauben heraus und nehmen Sie dabei auch die dazugehörigen Scheiben ab. Anschließend nehmen Sie noch die Zylinderkopfhaube, zusammen mit der Dichtung, gerade vom Unterteil ab. Säubern und prüfen Sie die Dichtung direkt im Anschluss nach Beschädigungen, da diese bei der Montage wieder eingesetzt werden kann."
Was hier funktioniert:
Vollständige Sätze mit natürlichem Sprachfluss
Verbindungswörter ("zunächst", "anschließend") schaffen logische Übergänge
Referenznummern werden zu beschreibenden Worten ("alle Befestigungsschrauben")
Die Anweisung klingt wie eine echte Erklärung, nicht wie eine Checkliste
"Der Unterschied? Aus einem Roboter wird ein Mensch." Dieser kleine Unterschied in der Formulierung hat große Auswirkungen auf die Verständlichkeit und das Nutzererlebnis. Professionell geschriebene Sprechertexte führen zu besseren Lernergebnissen und zufriedeneren Nutzern.



Was schlechte Sprechertexte wirklich kosten
Die Folgen schlecht adaptierter Sprechertexte sind messbar, auch wenn sie oft erst später sichtbar werden.
Höhere Support-Anfragen: Unverständliche Videos führen zu mehr Anrufen und Support-Tickets.
Längere Einarbeitungszeiten: Teilnehmer müssen Videos mehrfach ansehen oder benötigen zusätzliche Erklärungen.
Erhöhte Abbruchquoten: Videos mit roboterhaften Sprechertexten werden häufiger abgebrochen. Die teure Videoproduktion verpufft ihre Wirkung.
Montagefehler und Nacharbeit: Besonders in der Industrie entstehen kostspielige Fehler, wenn die Sprechertexte nicht exakt auf die Videobilder abgestimmt sind.
Diese Probleme verstärken sich durch moderne Text-to-Speech-Technologie: TTS-Systeme sind nur so gut wie die Texte, die sie verarbeiten. Schlecht geschriebene Sprechertexte klingen auch bei bester KI-Stimme mechanisch.
Fazit
Die direkte Verwendung von Anleitungstexten als Sprechertexte ist ein weit verbreiteter, aber vermeidbarer Fehler. Was als Kostenersparnis beginnt, wird zum Problem durch schlechte Nutzererfahrung und zusätzliche Folgekosten. Die gute Nachricht: Mit dem richtigen Verständnis für die Unterschiede zwischen Schreiben und Sprechen lassen sich professionelle Videoanleitungen erstellen, die tatsächlich funktionieren.
4 Learnings:
Schriftsprache ist nicht gleich Sprechsprache: Behandle beide als separate Disziplinen mit eigenen Regeln und Anforderungen.
Nutze den 3-Minuten-Test: Lies deine Anleitungstexte laut vor und nimm dich auf. Wenn es roboterhaft klingt, geht es deinen Nutzern genauso.
Scheinbare Kostenersparnis wird zur Sackgasse: Kurzfristig gesparte Übersetzungskosten führen langfristig zu höheren Support-Anfragen und schlechteren Lernergebnissen.
Denk an Text-to-Speech: Moderne TTS-Technologie verstärkt das Problem schlechter Sprechertexte noch. Auch KI-Stimmen können Robotertexte nicht menschlich klingen lassen.
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